
Man glaubt kaum noch an Überraschungen in der deutschen Medienregulierung, und doch gelingt es den Landesmedienanstalten immer wieder, den staubigen Paragrafen neue Schlagkraft einzuhauchen. Jüngster Schauplatz: das Verwaltungsgericht Berlin. Dort wurde entschieden, dass zwei populäre deutschsprachige Pornoplattformen weiterhin hinter dem digitalen Sichtschutz verschwinden müssen – jedenfalls für Nutzer*innen innerhalb deutscher Grenzen.
Die Vorgeschichte wirkt wie ein Déjà‑vu aus vergangenen Debatten um Killerspiele und „Schmuddelhefte“. Schon 2020 stieß die Landesanstalt für Medien Nordrhein‑Westfalen auf jene Videosharing‑Sites, die pornographische Inhalte zum Nulltarif feilboten – kein Altersnachweis, keine Paywall, pure Libertinage. Die zuständige Behörde tat, was Behörden eben tun: Sie untersagte der zypriotischen Betreiber‑Firma das Angebot, solange die Seite nicht in einen Club 18+ mit verlässlicher Alterskontrolle verwandelt würde. Die Content‑Providerin klagte sich durch die Instanzen, scheiterte letztlich und… ließ alles beim Alten. Weder verschwand das Material aus dem Netz, noch blitzte dort je eine Jugendschutz‑PIN auf.
Wer sich dem deutschen Ordnungsdrang dauerhaft entzieht, lernt dessen Beharrlichkeit kennen. Nach einem erfolglosen Zwangsgeld griffen die Medienaufseher zur nächstgrößeren Keule: Im April 2024 wurde einer Berliner Access‑Providerin auferlegt, den Datenverkehr zu den beanstandeten Domains schlicht zu blockieren. Vorbildlich europäisch – man bekämpft die Wasserversorgung statt die Quelle.
Interessanterweise fand sich nicht der Provider, sondern abermals die zypriotische Betreiberin vor Gericht ein. Per Eilantrag begehrte sie, die Sperrverfügungen außer Kraft zu setzen – und kassierte von der 32. Kammer eine saftige Ohrfeige. Dass man der Access‑Providerin den Stecker ziehe, wäre schließlich unnötig gewesen, hätte sich die Antragstellerin an die Regeln gehalten. Wer staatliche Verbote „fortgesetzt und beharrlich“ missachte, verliere jedes schutzwürdige Interesse. Die Richter sprachen von Rechtsmissbrauch, ja von Verachtung rechtsstaatlicher Entscheidungen – ein Ton, als ginge es nicht um nackte Haut, sondern um Hochverrat.
Das klingt hart. Doch zwischen den Zeilen wird eine Schieflage erkennbar, die die Branche kennen dürfte: Der europäische Binnenmarkt endet spätestens dort, wo die deutsche Jugendschutz‑Ampel auf Rot springt. Technische Möglichkeiten für differenzierte Altersverifikation existieren längst, doch das regulatorische Korsett fesselt sie zumeist schneller, als Anbieter sie umsetzen können. Für ein global agierendes Portal, betrieben von einer Firma in Nikosia, mag der deutsche Sonderweg wie eine kleinliche Provinzposse wirken. Für den deutschen Fiskus – und die deutsche Jugendpolitik – ist er hingegen Teil einer selbst auferlegten moralischen Staatsräson.
Was folgt? Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin‑Brandenburg ist zulässig. Ob sie Aussicht auf Erfolg hat, steht in den Berliner Sternen. Derweil bleibt der heimische Markt – geschätzte Milliardenklicks pro Jahr – hinter einer Access‑Barriere verborgen, die technisch erfahrungsgemäß so löchrig ist wie jede digitale Sperre. Das Katz‑und‑Maus‑Spiel geht weiter: Heute blockierte IP‑Adressen, morgen neue Mirrors, übermorgen ein DNS‑Work‑around. Der Rechtsstaat dreht an der Stellschraube, die Industrie schraubt gegen – und die Nutzer*innen? Die ziehen, ganz analog zu früher, unter den Ladentisch des World Wide Web.
Die Affäre zeigt eines deutlich: Wer Pornografie wirklich jugendfrei regeln will, braucht weniger Pathos und mehr Pragmatismus. Bis dahin bleibt „Porn frei Haus“ das bessere Geschäftsmodell – zumindest außerhalb des deutschen Regulierungshorizonts.